Presse:
Kölner Stadtanzeiger 20.7.2007
Gespaltenes Ich
Zwei Frauen putzen sich gegenseitig die Zähne. Anscheinend ein sonderbarer
Spleen in dieser Zweier-WG, mag das Publikum denken. Bis es gewahr wird, dass
die beiden Frauen, die hier Einblick in ihren Alltag gewähren, ein und dieselbe
sind: Eine Persönlichkeitsspaltung in ein privates und ein öffentliches Ich
führen die Schauspielerinnen Katja Brenner und Maren Schlüter mit
„Daheim.allein“ vor - am Beispiel einer Frau um die Dreißig. Sie sollte
Leistungsträgerin sein, ist aber gnadenlos überfordert. Drama Köln hatte jetzt
die Münchner Produktion des Regieduos Philine Velhagen und Barbara te Kock in
ihr Büro am Karolingerring eingeladen.
Das „Lieschen Müller“ des Jahres 2007: Dessen öffentliche Hälfte misst ihren
Wert etwa nach dem Inhalt des Kühlschranks: Sind dort „gute“ Produkte aus dem
Reformhaus oder „nur“ die Bioware vom Discounter? „Bin ich noch Boheme oder bin
ich schon Unterschicht?“: Darin gipfelt die Selbstbefragung dieser nach
Selbstverwirklichung strebenden Frau, die nicht ohne finanzielle Unterstützung
der Eltern leben kann. Ihre private Hälfte hört angesichts der prekären Lage am
liebsten eine Wohlfühl-CD und träumt davon, mit einem gut verdienenden Mann an
der Seite in einer Siebenzimmerwohnung Kinder in die Welt zu setzen. Träume, die
an der Realität zerschellen.
Auch die Inszenierung setzt auf Desillusion. In Unterhosen laufen die beiden
Schauspielerinnen mitten durch das Publikum und kommen diesem bis auf
Mundgeruchsabstand nahe. So nahe, als wäre das Publikum gar nicht da. Auf der
anderen Seite - und das ist das Bemerkenswerteste - öffnet sich der Theaterraum
nach außen. Am Anfang befinden sich die Zuschauer noch außerhalb des Ladenlokals
und blicken durch das Schaufenster in das Zuhause hinein. Später befindet sich
das Publikum im Innenraum und die Schauspielerinnen laufen nach draußen. Die
Zuschauer können nun beobachten, wie zufällig vorbeikommende Passanten die
beiden hysterisch gestikulierenden Miminnen realiter für nicht
gesellschaftsfähig halten: Offenbar ist hier jemand nicht in der Lage, sein
„Zuhause“ für sich zu behalten, signalisieren die befremdeten Blicke der
unfreiwilligen Zuschauer. Damit ist viel mehr als bloße Situationskomik
geschaffen. Privatheit und Öffentlichkeit haben die Rollen getauscht. Insgesamt
ein entlarvender, faszinierend präziser Blick auf die Gesellschaft.
PETER BACKOF, Kölner Stadt-Anzeiger 20.7.2007
Süddeutsche Zeitung 7.6.2006
Erhellende Fragen
"Daheim.allein" von Philine Velhagen und Barbara te Kock
Wo genau es war, sollte man lieber nicht sagen, weil eine der beiden Schauspielerinnen dort wirklich wohnt. Wie es war mit Katja Brenner und Maren Schlüter nicht ganz allein daheim zu sein, wird dafür umso lieber verraten: Nämlich schön, lehrreich - und vor allem so kurzweilig, dass Philine Velhagens und Barbar te Kocks neuester Streich als die am raschesten vorbei gewesene Stunde in die Annalen der Münchner Freien Szene eingehen dürfte.
"Daheim.allein" ist Identitätsstudie und Voyeuristen-Nahrung, ist Intervention in den Fußgängerfluss und Exhibition von Musikhör-Gewohnheiten, ist eine Mischung aus Theater, jemanden besuchen gehen, und dabei gesehen werden. Wie schauen in diese Ladenwohnung in der Gabelsbergerstraße hinein, dann schleichen wir auf Zehenspitzen unserem Blick hinterher. Drinnen steht eine junge Frau im schlunzigen Alleinsein-Look vor der Entscheidung, sich mit "Liebe Dich selbst und es ist egal wen Du heiratest" oder einem Buch über Lichtheilung in den Schlaf zu lesen, dann kommt eine zweite Frau, die scheinbar für das Anrufbeantworter-Abhören zuständig ist, für den Wecker, das Lippen-Schminken und den Stiletto-bewehrten Gang zum Bewerbungsgespräch. Sie stellt sich den Besuchern auch als Erste vor - als "das öffentliche Ich der Person Anja Hitzer" kurz auch "Ö" zu nennen nach dem goldenen Ö auf dem Rücken ihres Kostüms. P dagegen energische Verteidigerin des Drinnen und aus Karrieristen-Blickwinkel unter Versager-Verdacht, war immerhin kürzlich im Iran und kann ein bisschen Yoga.
So werden die Fronten schon unscharf, bevor P nach draußen entwischt, wo sie vor Passanten ihr Innerstes nach außen kehrt. Ö und P rennen draußen herum, Ös Bürostuhl steht auf dem Gehweg, Ö und P haben nur eine Niere, P redet vom zusammenziehen mit ihrem Freund, Ö spricht davon, an ihre Gebärfähigkeit anzudocken" und dass Kinder ein "Weg aus der kapitalistischen Geiselhaft" seien.
Und gerade wenn man dabei René Pollesch im Hintergrund zu wittern beginnt, schüttelt sie aus der einer Vase eine Zigarette heraus, so wie Velhagen und te Kock die Ps und Ös unseres Lebens durcheinander geschüttelt haben. Und heraus kam: ein fulminanter Theater-Shake voller erhellender Fragen.
(Wann und wo das Stück wieder gespielt wird, ist unter der Telefonnummer 0179 xxxxxxx zu erfahren)
SABINE LEUCHT, SZ 9.6.06
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velhagen/te kock, 2005-2007