Presse:
DER STANDARD, 2.11.2006, Margarete Affenzeller
Bühne frei für den Victoriabarsch
Drama X nimmt heuer Dokumentarfilm als Grundlage
Wien - Man könnte Drama X als Theaterzentrifuge beschreiben, die einmal im Jahr für eine halbe Nacht ein halbes Dutzend Stücke in elaborierten Kurzauftritten zum Zug kommen lässt. Im Mittelpunkt stehen jeweils neue Texte, Inszenatoren mit Esprit und haufenweise Schauspieler, die allesamt komprimiert und einmalig ihre Kunst verschleudern. Das von den beiden Regisseuren Ali M. Abdullah und Harald Posch nun ins vierte Jahr geführte Unternehmen findet diesmal in drei Blockveranstaltungen statt, die sich erstmals im Dokumentarfilmbereich bedienen. Gelangweilt vom biedermeierlichen Tenor vieler zeitgenössischer Theatertexte, die sich am Empfinden des Einzelnen entlangarbeiten, untersucht Drama X gesellschafts- und wirtschaftspolitische Strukturen der "New World Order" gleich im Direktverfahren. Motto: New New West.
Die ersten drei von fünf dramatisierten Dokumentarfilmen (alle zusammen werden im Februar im Schauspielhaus zu sehen sein) machten im Rabenhof Theater den Anfang: In einem später nur wenig variierten Einheitsbühnenbild aus gelben Schalungsbrettern von Erich Sperger erzählt zunächst Abdullah - nach dem niederländischen Dokumentarfilm "My Life as a Terrorist" - den Werdegang des am Opec-Anschlag 1973 beteiligten deutschen Terroristen Hans-Joachim Klein als eine Tragödie der Unwissenheit. Ein hübsch schwäbelnder Alexander Simon klopft sich dabei die historische Figur wie lästige Fliegenkacke vom Leib und möchte Mensch sein.
Marlon Metzen interpretiert "Darwins Nightmare" von Hubert Sauper mittels Castingshow. Es ist dies jener Film, der den Victoriabarsch zum realen Protagonisten eines transkontinentalen Ausbeutungsverhältnisses gemacht hat. Das europäische Interesse und die Hilfsleistungen auf dem Kontinent Afrika erklärt Metzen zum bloßen Spiel, für das fünf Schauspieler auf Kothurne steigen und dort im Glamourlicht um den Superstar Victoria B. eifern. Klugheit beweist die Inszenierung durch die gewählte Blickrichtung: Die von politischer Unbedarftheit gezeichneten Casting-Glitzerladys werden angehalten, die Realität in Tansania "nachzuspielen"!
Geniale Farce
Ein mustergültiges Beispiel für die Abhängigkeiten in einer globalen Wirtschaft stellt "Mardi Gras - Made in China" dar. Der Film von David Redmon zeigt auf, wie sich der Fasching in New Orleans auf die Arbeitsbedingungen in einer chinesischen Modeschmuckfabrik auswirkt. In der genialen Bühneneinrichtung der beiden jungen deutschen Regisseurinnen Philine Velhagen und Barbara te Kock verhandelt ein Gipfeltreffen der Weltmärkte USA, Europa und China die fatalen Beziehungen als Farce auf der Simultanübersetzerbank. Prima erdacht, gut gespielt.
(Margarete Affenzeller / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.11.2006)
Salzburger Nachrichten, 2.11.2006 - Niko Wahl
Von der Leinwand auf die Bühne
Drei geglückte Theaterexperimente der Reihe "Drama X" im Wiener Rabenhof
Niko Wahl, Wien (SN). "Das hat lange gedauert, bis ich was verstanden hab", sagt Hans-Joachim Klein, deutscher Terrorist und Teilnehmer des Anschlags auf die OPEC-Versammlung in Wien von 1975. Seit Dienstagabend stehen Klein sowie eine chinesische Arbeiterin und afrikanische Fischer vom Victoria See auf der Bühne des Wiener Rabenhofs. In der Aufführungsserie "Drama X" zeigen junge Regisseure, Dramatiker und Schauspieler dramatisierte Dokumentarfilme.
In dem Stück "My Life as a Terrorist" zeigt Regisseur Ali Abdullah den Terroristen Klein (Alexander Simon), der, begeistert von den Idealen der 68er, den "bewaffneten Kampf" aufnahm und es bis heute nicht fassen kann, dass der Überfall auf die Wiener OPEC kein Abenteuer war, sondern drei Menschenleben gefordert hat. Neben dem reuigen und selbstherrlichen Klein kommt auch dessen Mitstreiter, der Europaabgeordnete Daniel Cohn- Bendit, zu Wort. Der war mit Klein befreundet, arrangierte sich jedoch bald mit dem verhassten System. Von Klein hingegen bleibt nicht viel übrig: Seine alten Ideale waren hohl und kitschig, seine Freunde sind heute erfolgreich, während ihn ein 10-minütiges Abenteuer zum dreifachen Mörder machte und ihn "25 Jahre des eigenen Lebens" kostete.
Um politische und soziale Missstände geht es im zweiten Stück: "Mardi Gras - Made in China." Hier wird die billige chinesische Karnevalsdekoration, die alljährlich New Orleans schmückt, an ihren Herstellungsort zurückverfolgt. Auf der Bühne treten in einem surrealen Totentanz politische Vertreter von Europa, China und den USA auf.
Die Chinesin (Daniela Kong) wechselt rasant zwischen ausgenutzter Arbeitskraft und erfolgreicher Diplomatin hin und her. Die Erniedrigungen, die sie über sich ergehen lassen muss, beschwören die grausamen Bilder von Abu Graib im Wechselspiel mit grotesken Karnevalsszenen, in denen die Vertreter des Westens schließlich untergehen. Die Spielgeschwindigkeit dieses Stückes peitscht die Zuseher in weniger als einer Stunde durch das Elend der gegenwärtigen Weltlage, der schwarze Humor ist Schwindel erregend.
Mit den Mitteln der Groteske arbeitet auch das dritte Stück, "Darwins Nightmare", das auf einem Film des österreichischen Regisseurs Hubert Sauper beruht. Die Bühneninszenierung von Marlon Metzen, die als Casting Show angelegt ist, präsentiert den Film wie eine Nummernrevue. Die Schauspieler spielen außer den afrikanischen Fischern auch bulimische Europäerinnen in Glitzerkostümen. Es ist das radikalste Stück des Abends.
Wiener Zeitung 02.11.2006, Stefan Melichar
Die Opec, China und Victoria B.
Theater
Von Stefan Melichar
(...) Alexander Simon und Paul Sigmund gelingt in Ali Abdullahs Bühnenadaption des Films "My Life as a Terrorist" von Alexander Oey ein intensives Porträt des deutschen, am Opec-Anschlag beteiligten Terroristen Hans-Joachim Klein. Philine Velhagen und Barbara te Kock gehen in ihrer pointierten Inszenierung von David Redmons Doku "Mardi Gras - Made in China" den ambivalenten Beziehungen zwischen dem Westen und China auf den Grund.
Mit der Realismuskeule
Das formale Erfolgsrezept der beiden Einakter ist einfach: Zuerst das Publikum zum Lachen bringen, dann mit der Realismuskeule zuschlagen und zu guter letzt die Moral der Geschichte in einen Song packen.
Wenn sich etwa China und die USA vor der UNO einen Zickenkrieg liefern, löst das durchaus Heiterkeit aus. Lernt man in weiterer Folge die beinharten Produktionsbedingungen in chinesischen Sweatshops und die dionysische Ignoranz des Westens kennen, bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Was liegt da näher, als mit dem Lied "We are the world" noch eins draufzusetzen?
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velhagen/te kock, 2005-2007