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ernte dich selbst - freiheit 06    « projekt-seite
Programmheftauszug:

Einige lokal Verwirrte
In den asphaltierten Städten gibt es keine Früchte mehr zu ernten, denn die Arbeit ist ausgewandert, aber wir sind noch hier. Auch wir haben uns verändert, sind Katze geworden oder Beuteltier, glauben an unseren selbst gemachten Katzengott. Wir gehören zu den Gewinnern in dieser Welt, die sich verändert, wir gehören genauso zu den Verlierern. Einige von uns haben verloren. Die Meisten sind Gewinner. Ihr Gewinn ist auch der kleine Luxus billige Wegwerfkleidung. Modische Kleidung, die junge Arbeitssklaven nähen und dann schnell sterben. Das sind die faulig-süßen Blüten der Gegenwart. Deine schöne Bluse, die Du trägst. Lebst Du schon, was willst Du daran ändern, hast Du denn schon Deine neue Küche, daran kannst Du nichts ändern, und wir, wir können es auch nicht. Und die Arbeit ist flüssig, sie ist fast so flüssig wie Geld. So viel von ihr ist weggeflossen, dass es jetzt jeder merkt.

Es ist schon eine Weile her, dass wir anders geworden sind, dass wir Katze geworden sind oder Beuteltier, jeder entscheidet jetzt für sich. Das ist Deine Freiheit. Welches Tier möchtest Du heute sein? Ich möchte Arbeitstier sein. Gut, das darfst Du sein, aber nur für vier Tage, von denen nur zweieinhalb bezahlt werden. Ja, mehr will ich auch nicht, und am Wochenende habe ich einen anderen Job und am fünften Tag bin ich sowieso mit mir selbst beschäftigt, mit meiner Neosexualität, mit meiner Internetpornosucht, ansonsten sexloser Single, der sein silberfarbenes amerikanisch-asiatisches Notebook anbetet, an dem er, sie, es diese neue Bluse entwirft, die per Knopfdruck exakt zwanzig Tage braucht, von meinem Display in die globalen Hinterhöfe und zurück bis in die Filialen der Billigklamottenkette. Gut, ich mache mittlerweile eine Therapie deswegen.

Wir global Organisierten und lokal Verwirrten. Jeder ist sich selbst Nation, jeder gegen jeden, jeder mit jedem, Du kannst Dich nur auf Dich verlassen, Du pochst auf Dein Recht auf Party, auf Dein persönliches Glück und Du bist wichtig, wie jeder andere auch, Du kannst Dich nicht selbst durchstreichen, Du kannst Dich selbst nicht aufgeben, Du bist Du, ich und mein Stileis. Wollen wir das sein, jeder für sich? Oder sollen wir das sein? Gibt es da einen Ausgang? Fragen, Fragen. Für richtige Antworten bekommst Du ein neues Leben. Du gewinnst einen Arbeitsplatz im Land der Gewinner. Gut oder böse, ja oder nein, vorn oder hinten, unten oder oben. Warte, hier im Land der Gewinner. Warte bis Deine Show beginnt. Warte und dann antworte und ernte dich selbst.

Text: Christian Bernhardt

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velhagen/te kock, 2005-2007